Von außen würde man denken, dass hier ein charmantes Landhaus liebevoll renoviert wurde. Doch auch das täuscht. „Davor war hier nur eine Wiese“, schildert Lukas. „Es sieht also nur so alt aus. Aber das einzige Konventionelle an diesem Gebäude ist der Betonsockel. Auf diesem steht die Holzkonstruktion in Riegelbauweise.“ Als diese errichtet war, fuhr ein Landwirt mit seinem Traktor vor. Hinten drauf am Anhänger: gepresste Strohballen. „Innerhalb von einem Tag haben wir die Zwischenräume der Sparren mit 18 Helfern mit den Ballen gedämmt. Eine ziemlich gute Arbeit zum Selbermachen!“
Die Laibung der Holzfenster sind rund. Die Häuserkante? Ebenfalls rund. Ein ungewöhnliches Haus. Wir treten über die Schwelle. Es riecht gut. Nach Holz. Nach Stroh. Nach Schilf. Ein bisschen nach Marillen. Der prächtige Baum dazu spendet Schatten im Garten, trägt gerade süße Früchte. „Eine uralte Sorte. Schmeckt gut. Mal kosten?“ Herrlich. Auch wir fühlen uns auf Anhieb wohl in diesem Haus aus Stroh und Lehm.
Obschon „Haus“ nicht ganz zutrifft. Noch ist das Ensemble eine komplette Rohbaustelle. Aber die schönste und natürlichste, die wir je betreten haben. Ein Gebäude aus Holz und Stroh? Fast ohne Ziegel? Der Gedanke an den bösen Wolf und die drei kleinen Schweinchen kommt auf. Kann das wirklich gegen moderne Bauweisen bestehen? Es kann. Und wie es kann!
„Ich wollte immer schon ein naturnahes Haus. Aber ohne Lukas hätte ich mich wohl nie drübergetraut“, gesteht Victoria. Dass gerade Lukas die Idee zum Haus aus Stroh hatte, mag vielleicht überraschen. Studiert hat er am Technikum in Wien. Seinen Master absolvierte er an der Hochschule Burgenland. Seither ist er ebendort in der Forschung und Hochschullehre tätig. Sein Spezialgebiet: Gebäudetechnik.
„Bist du der Ansicht, dass die Menschen bereits vor zweihundert Jahren wussten, wie man naturnah und zugleich energieeffizient baut?“, wollen wir von ihm wissen. Und tatsächlich: Die hervorragenden Eigenschaften von Stroh, Schilf, Lehm und Kalk stehen für den Forscher außer Frage. „Mein Fach ist allerdings nicht die Bauphysik. Ich beschäftige mich in meiner Arbeit vielmehr mit der Energieeffizienz von Gebäuden“, betont er und lässt mit seinem nächsten Satz aufhorchen:
„Persönlich gefällt mir vor allem der Low-Tech- Ansatz. Also dass die Dinge wieder einfacher werden, dass die Sachen nicht so schnell kaputtgehen und länger funktionieren.“
Ein High-Tech-Wissenschaftler, der sich für Low-Tech-Lösungen einsetzt? Wir sehen uns um. Elektrische Rollos oder Raffjalousien? Fehlanzeige. Stattdessen gibt es aufklappbare Fensterläden. Die halten ewig. Durch die Überdachung der westseitigen Terrasse wird Sonne abgeschirmt, die Hitze bleibt draußen. Altes Wissen, kombiniert mit effizientester Haustechnik zum Heizen und Kühlen. Darauf kommt es an.
Den Blick für das Wesentliche hat auch seine Frau Victoria: „Wenn man genau hinsieht, wird man feststellen: Die gekalkte Fassade unseres Hauses oder die handmodellierten Innenwände aus Lehmputz sind nicht völlig gerade. Wenn uns da mal ein Monk besucht, zuckt uns der aus“, lacht sie. „Aber für uns sieht das aus wie in Griechenland. Wie ein romantisches, weiß gekalktes Häuschen auf Santorini. Organische Formen statt glatter Sterilität. Dieses Flair lieben wir einfach!“
„Im ersten Schritt ganz normal. Mit einer einfachen Betonbodenplatte“, erläutert der Bauherr. „Darauf ruht die Holzriegelkonstruktion. Gewählt haben wir dafür Steher aus massivem Vollholz. Das ist allerdings nicht nur der Ökologie geschuldet. Leimbinder sind derzeit knapp und im Preis massiv gestiegen. Innen haben wir eine Verkleidung mit OSB-Platten angebracht. In die so entstandenen Fächer haben wir mit unseren Freunden dann das Stroh an einem Tag hineingepresst. Wichtig ist, dass das Material trocken, sauber gedroschen und wirklich fest gepresst ist. Das Stroh stammt übrigens ganz aus der Nähe, von einem Bauern aus Niederösterreich. Und das Schilf? Vom Neusiedler See.“
Um den Rohbau im Winter zu schützen, wurde außen eine diffusionsoffene Fassadenbahn angebracht. Wäre der Verputz gleich erfolgt, hätte man auf diese aber verzichten können. Im nächsten Schritt erfolgte die Montage von Rauschalungsbrettern an der Außenseite. Diese dienten wiederum als Unterlage für die Schilfstuckatur. Grobputz, Netzputz, Feinputz und am Schluss noch ein Anstrich mit Sumpfkalkfarbe zum Versiegeln. Fertig.
Gemischt wurde der Sumpfkalk selbst – aus Sand und Kalk, Lukas erklärt warum sie sich so entschieden haben:
„Der Gedanke dahinter war, dass der Putz sehr offen ist und das Wasser aufnehmen und wieder abgeben kann. Reines Stroh vom Feld hat sehr viele Vorteile – aber auch einen Nachteil: Es darf nicht feucht werden, sonst fängt es zu schimmeln an. Bedenken muss man diesbezüglich aber keineswegs haben. Das Stroh muss nur trocken gelagert und fachgerecht verbaut werden.“
Montiert ist die Wandheizung/-Kühlung an den Außenwänden bzw. dort, wo Fliesen verlegt sind, ist eine Fußbodenheizung geplant. Nur in den Nassräumen kommt ein Estrich zum Einsatz. „Wir haben uns für einen Trockenaufbau entschieden. Das Holz dafür stammt zum Großteil von einem alten Holzboden, den wir in Wien abgebaut haben.“
Die Fachwerk-Bohlen in den Wänden zierten einst eine Mühle in Mödling. „Die Bretter in der Wand habe ich gemeinsam mit meiner Mama verschraubt, als ich noch schwanger war“, sagt Victoria. Auch die tragende Säule im Wohnzimmer ist ein Einzelstück – ein mächtiger Eschen-Baumstamm, der einst tief im Stift Heiligenkreuz verwurzelt stand.
Ein absolutes Highlight ist die runde Ziegelwand im Vorraum. Selbstgemauert. In mühsamer Handarbeit. „Eine Stunde pro Reihe. Weil jeder einzelne Ziegel in Form geschnitten werden musste. Zählt bitte nicht nach, wie viele Reihen es sind. Hätte ich gewusst, was ich mir damit antue, hätte ich es nie gemacht“, stöhnt Lukas. „Aber die Wand ist einfach so wunderwunderschön“, ergänzt Victoria freudestrahlend.
Ziegelbausteine gibt es nur angrenzend an das Nachbarhaus. Dies aber nur aufgrund gesetzlicher Bestimmungen. Brandschutztechnisch gesehen sind verdichtetes Stroh und massive Holzbalken aber übrigens relativ schwer entflammbar.
Interessant: Das Gebäude speichert durch die natürlichen Baumaterialien Holz und Stroh mehr CO , als es verbraucht! Der CO -Abdruck der verwendeten Ziegel und der Bodenplatten wird somit mehr als komplett kompensiert.
An den Innenwänden sind Schilfmatten angebracht. Direkt darauf wurden die Rohre der Variotherm Wandheizung/-Kühlung montiert. In Kombination mit Lehmputz garantiert dies ein einzigartiges Wohlfühlklima im ganzen Haus.
Einen Dachboden gibt es nicht, stattdessen ein nach oben hin offenes Wohnzimmer mit eindrucksvoller Höhe von 7 Metern Luftraum.
„Wir wollten keinen Stauraum für Dinge schaffen, die wir nicht brauchen. Der Grundriss des Hauses erscheint auf dem Plan recht klein. Wer es aber in echt sieht, ist von der Größe überrascht. Jeder Architekt hat zunächst gemeint: Das ist zu klein. Wir haben aber bewusst geschaut, wo wir Quadratmeter weglassen können. Einfach um Geld zu sparen, um weniger zu heizen und weniger putzen zu müssen. In Summe haben wir 112 m2 Wohnnutzfläche. Das reicht uns völlig. Wäre es eine Wohnung, würde man sagen: großzügig!“
Überraschend dick sind die Wände, nämlich rund 45 Zentimeter: „Dadurch ist der Dämmwert sehr gut. Tatsächlich würde sich eine Wärmepumpe gar nicht auszahlen, weil unser Heizbedarf so niedrig ist. Aber in Kombination mit dem Kühlen kann man die Wärmepumpe doppelt nutzen“, so Victoria. „Kühlen ist doppelt leiwand.“
Apropos leiwand: Was sagen eigentlich die Nachbarn zur außergewöhnlichen Bauweise? „Die finden unser Haus sehr cool“, stellt Victoria mit ruhigem Lächeln fest.
„An einem windigen Tag hat es mal bisschen Stroh zu den Nachbarn rübergeweht. Die fanden das aber gar nicht mal so schlimm und meinten: ‚Ach! Das macht ja nix. Ist ja nur Stroh. Dann sind die Rosen wenigstens gleich gedüngt!‘ Durch die natürlichen Materialien stört die Leute unsere Baustelle einfach weniger.“
Die Bauzeit schätzt die junge Familie auf 1,5 Jahre ein. „Wir machen uns da keinen Stress. Dass wir uns für diese nachhaltige Art des Bauens entschieden haben, war schon ein mutiger Schritt für uns. Doch wir haben uns gedacht: Das müssen wir so machen. Genauso wie wir mehr darüber nachdenken müssen, ob wir eine Flugreise unternehmen oder ob wir unser Kind mit Stoffwindeln wickeln. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß, lauter Einfamilienhäuser aus Plastik hinzustellen“, sind sich Lukas und Victoria einig.
„Und von den Kosten her ist es absolut mit einem Ziegelbau vergleichbar. Also davor braucht man sich nicht zu fürchten. Wir sind auch nur Normalverdiener mit einem Junge-Leute-Baubudget. Man braucht nur die Überzeugung, dass man es will, dann wird es auch nicht viel teurer. Und nachträglich hatten wir mit unserer Entscheidung sogar ziemliches Glück. Andere Freunde, die auch gerade bauen, haben aufgrund von Lieferengpässen keine XPS-Styropordämmplatten oder Ziegel bekommen und wenn, dann zu extrem gestiegenen Preisen. Wir sind mit dem Anhänger einfach nach Podersdorf an den Neusiedler See gefahren und haben uns Schilf in rauen Mengen geholt. Das ist nicht vergriffen.“